Trotz vieler und nicht selten recht eindeutiger Fundamentaldaten, welche die Richtung der Börsentendenzen anzeigen sollten, entwickeln sich die Märkte oft entgegengesetzt. Dieses Phänomen ist zwar nicht neu, hat aber mit den gestiegenen Volatilitäten an Gewicht gewonnen. Wird die Börse also von psychologischen Effekten geprägt? Mit Sicherheit gehört dieses Element auch zu den massgebenden Einflussfaktoren von Kursbewegungen. Parallel oder primär spiegeln sich in der Gefühlswelt auch die ökonomischen Realitäten, aber je nach Stimmungslage werden diese unterschiedlich wahrgenommen und bewertet; diese Aussage scheint uns sehr aktuell zu sein, aber vielleicht nimmt die derzeit recht stabile Börse die baldige Abschwächung der akuten Probleme vorweg (Inflation generell, Energie- und Lebensmittelpreise im Speziellen, Ukraine-Konflikt, Sanktionen, etc.)? Für manchen Anleger gerät die Börse so zum permanenten „Mensch-ärgere-dich-nicht“-Spiel oder gar zur Psychofalle. Steigen die Kurse, ist der Anleger meist unterinvestiert, fallen sie, hat er ein zu grosses Engagement. Mit anderen Worten: Wenn fundamental alles bestechend klar ist, scheint sich kein Handlungsbedarf aufzudrängen; hat der Anleger aber ein intuitiv richtiges Gefühl, so fehlt es ihm („und manchmal auch uns“) an einleuchtenden Argumenten. Bricht Jubel oder wie in der näheren Vergangenheit zweimal Panik aus (primär 2020 wegen Corona), ist eine fast übermenschliche Kraft erforderlich, um sich nicht von der Stimmung bzw. vom sogenannten „Herdentrieb“ mitreissen zu lassen. Solche Situationen sind nie einfach, zeigen doch auch die Börsenteilnehmer Emotionen: Euphorie im Aufwärtstrend, Gier in der Übertreibungsphase nach oben, Angst im Abwärtstrend und eben Panik in der Übertreibungsphase nach unten. Leider können wir Trendwechsel an der Börse lediglich abschätzen und auch die vermeintlich klügsten Volkswirte werden die Börse nie präzis „berechnen“ können. Dennoch gibt oder gäbe es die Möglichkeit, das psychologische Momentum besser wahrnehmen zu können… indem man sich bewusst wird, dass die Sicht auf die Realität in solchen Phasen oft verzerrt ist, oder anders ausgedrückt, die Wahrnehmung nicht der Wirklichkeit entspricht. Wir kommen auf der nächsten Seite nochmals auf diesen Punkt zurück. Wichtig ist auch die zeitliche Betrachtung, denn die sog. Psychofalle ist im Normalfall nur kurzfristig von Bedeutung. Die Qualität eines Unternehmens ändert sich i.d.R. bei panischen Attacken auf die Börse nicht. Vielmehr führen die Tagesereignisse, Kurznachrichten, die Gerüchteküche bis hin zu den Fake News zu falschen oder irreführenden Folgerungen. Nicht die tatsächlichen Ereignisse selbst, sondern eben die psychologisch motivierten Reaktionen der Anleger beeinflussen dann die Kurse. Auf längere Sicht hingegen – wie sich dies immer wieder bestätigt – ist das emotionale Verhalten der Anlegergemeinde nicht entscheidend… eine klare Anlage-Strategie hingegen schon! Wie sagte schon Kostolany: „Oft muss man an der Börse die Augen schliessen, damit man besser sehen kann.“ Heisst, erst einmal auf sich selbst hören und nach fundamentalen Antworten zum „Börsengefühl“ lauschen.
Leider ist dies oft nicht einfach, aber Financial Behavior (Verhaltens-Ökonomie) deckt irrationales Verhalten auf. Dies äussert sich in den folgenden, u.E. sehr spannenden Erkenntnissen, denn Verhaltensmuster lassen sich im Rahmen von Studien durchaus nachweisen. Ganz wichtig gilt vorweg folgendes: Da wir meist nicht in der Lage sind, psychologische Fallen auch als solche zu erkennen, muss die eigene Psyche bildlich in einen Käfig gesperrt werden, um die Kontrolle zu behalten. Und wie macht man dies am besten: Wie erwähnt, mit einer gut konzipierten Anlagestrategie, also einem Basis-Vertrag mit sich selbst! Sie finden dazu – bei Bedarf – auf unserer Homepage die passenden Dokumente und Anleitungen. Nun aber zu einigen Verhaltensmustern (nicht abschliessend), beginnend mit der Furcht des Bereuens: Wie oft kommen Anlageentscheidungen zustande oder eben nicht zustande, weil man die Empfindung des Bereuens fürchtet und damit eine Investition verpasst, welche sich als lohnend erweisen könnte. Die Anlage könnte jedoch auch sinken und dann würde man den Entscheid bereuen. Nur deswegen kommen Entscheidungen manchmal nicht zustande… und deshalb braucht es den längerfristigen Fokus einer konsequenten Anlagestrategie. Ähnlich ist es mit der Verlust-Aversion: Niemand will Verluste erleiden und deshalb ist diese Wahrnehmung oft viel stärker als jene mit vergleichbaren Gewinnen. Man ist stärker darauf fokussiert, Verluste zu vermeiden als Gewinnopportunitäten wahrzunehmen. Deshalb ist im Rahmen der Strategie auch die vielgepriesene Diversifikation wichtig, weil es immer Aktien gibt, die im Kurs zurückbleiben oder eben an Wert verloren haben. Mit einer zu hohen Verlust- und Risiko-Aversion verfällt man in das Muster des nominalen Vermögenserhalts, d.h. man empfindet es als angenehmer, wenn CHF 100 auch CHF 100 bleiben und besser, als Wertschwankungen in Kauf zu nehmen. Dabei vergisst man den u.U. entstehenden Verlust der Kaufkraft. Genau dies geschieht derzeit an den Märkten: Inflation und Säbelrasseln sorgen wegen der Verlustangst für erhöhte Liquidität; allerdings muss man festhalten, dass sich die Aktienmärkte recht gut behaupten. Ein weiterer, bestens bekannter Faktor ist der „Herdentrieb“: Nicht selten richten einzelne Personen ihr Verhalten und Handeln fast unbewusst an anderen aus. Dies führt dazu, dass die „Herde“ letztlich verschiedene irrationale Effekte auslösen kann. Dies betrifft sowohl Panikverkäufe wie auch Aufwärtstrends, die dann zu Blasenbildung oder zyklischen Übertreibungen führen können. Meist kauft man jene Aktien, die gut laufen und nicht jene die stark gefallen sind. Man bleibt lieber im Mainstream, als dass man sich als Contrarian exponiert. In der „Herde mitschwimmen“ erscheint und ist jedenfalls sicherer, mindestens so lange bis der Wind dreht. Und im Rahmen der Selbstüberschätzung traut sich ja schliesslich jede/r zu, rechtzeitig vor einem Trendwechsel oder gar einem Crash auszusteigen. Nur leider weiss man erst zu spät, ob es sich tatsächlich um einen Crash oder nur eine technische Gegenbewegung handelt. Dies alles und viel mehr ist die Börse und als Teil davon Financial Behavior.
Legen Sie also jederzeit – zu Beginn von ersten Börsengeschäften sowie auch im ganzen Verlauf Ihrer Geldanlage – einen hohen Stellenwert auf Ihre persönliche Anlagestrategie. Für eine solche gibt es jedoch viele „Muster“, die massgeschneidert werden können. Es gibt die Dividenden-Strategie, die ausgewogene Strategie, die Wertzuwachs-Strategie, die Small-Cap-Strategie, die Cornerstone-Strategie, fortgeschrittene Strategien mit Absicherungselementen, ein Mix aus den genannten Strategien oder auch die Trading-Strategie, um nur einige zu nennen. Aus unserer Sicht muss das primäre Ziel sein: Investieren in Top-Qualität zu günstigem Preis! Wie sagte Warren Buffett so schön: „Fragen Sie nicht nach dem Preis, den Sie für ein Unternehmen bzw. eine Aktie zahlen, sondern nach dem Wert, den Sie für Ihr Geld bekommen.“ Dazu gibt es, wohl auch im Rahmen einer gewissen „Psycho-Falle“ ein weiteres Phänomen: Wenn man sich zum Ziel setzt bzw. erwartet, in den kommenden fünf Jahren netto zu sparen, wünscht man sich dann höhere oder tiefere Aktienkurse? Obwohl man netto auf viele oder mehrere Jahre Aktien kaufen wird, ist man natürlich begeistert, wenn die Kurse steigen. Diese Reaktion macht nur Sinn, wenn man schon Aktien hält. Aber, nur wer in der näheren Zukunft Verkäufer von Aktien sein wird (will), wird sich freuen, wenn diese steigen. Künftige Käufer jedoch sollten sinkende bzw. tiefere Kurse vorziehen (wollen). Wir liefern hier nur Denkanstösse; die Börse wird immer ein Karussell bleiben, wo man je nach Umdrehungsgeschwindigkeit auf- oder abspringen kann (muss).
Damit kommen wir zur Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und der aktuellen Wahrnehmung der Börse. Da es sich hierbei meist um Hypothesen handelt, schwingt Financial Behavior mit. Wir sind aber überzeugt, dass die Börse(n) längst merklich hätten korrigieren müssen, in Anbetracht der derzeitigen, akuten Problemfelder. Wenn Mieter oder Unternehmer, z.B. in Deutschland, von einer Verdreifachung der Energiekosten für Gas sprechen, wenn die Ölpreise von weit oben winken, wenn Lebensmittelpreise steigen, im schlimmeren Fall da und dort sogar knapp werden könnten, wenn vielleicht sogar die Weltordnung in Gefahr ist – was wir allerdings noch längst nicht glauben – und wenn viele andere Rohstoffpreise durch die Decke gehen, müsste dies im Normalfall auf die Unternehmens-Margen und damit auch auf die Börse negative Auswirkungen haben. Auch die „Putin-Eskalation“ ist noch nicht vom Tisch, wenngleich wir nicht davon ausgehen. Doch die Börse verhält sich gegen alle „Störfaktoren“ mehr oder weniger resistent. Was könnten die Gründe sein: Die Inflation allein muss nicht per se schlecht für Aktien und andere Sachwerte sein, im Gegenteil, um die oben genannte Kaufkraft einigermassen zu sichern, muss bzw. sollte man in Aktien investiert sein. Stützt dieser Faktor allein, zusammen mit der immer noch hohen Geldmenge, die Börse? Oder krallt sich die Börse an die grosse Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges und damit ein kontinuierliches Einpendeln der übrigen Problemfelder? Diese Hoffnungen und die bisher selbstredend guten Unternehmens-Abschlüsse (2021) stützen wohl die Märkte. Erfüllen sich die Hoffnungen tatsächlich innert nützlicher Frist, kann dies den „Bullen“ weiteres Leben einhauchen und das Fundament der längerfristigen Anlagestrategien stabil halten
In Anbetracht des mindestens kurzfristigen Auseinanderklaffens von Realität und Wahrnehmung, den eigentlich latenten Unsicherheiten und dem vermeintlichen „Herdentrieb“ eines leichten Käufer-Überhangs, haben wir die Bewirtschaftung unseres Musterportfolios auch auf Gewinnmitnahmen und Optimierungen ausgerichtet. Aufgrund der laufenden Dividendenphase ist man dabei etwas im Dilemma. Wir sehen hier aber einen weiteren Grund für die doch recht stabile Börse: Man will (noch) nicht verkaufen, sondern (zuerst) die Dividenden einfahren. Doch was ist danach? Könnte gerade dieses Jahr wieder einmal „sell in May and stay away“ eintreten? Egal, „gesunde“ Gewinnmitnahmen haben noch nie geschadet und wir massen uns nicht an, die absoluten Höchstwerte nutzen zu können. Details zu den Transaktionen finden Sie in der aktuellen Ausgabe.